Was steckt eigentlich hinter dem Mythos des französischen Stils, den man sich nicht einfach überziehen kann wie ein geringeltes Marinière? Und warum geht es dabei nicht nur um Mode, sondern um einen ‚État d’Esprit’, der vor allem mit Reduktion und Weglassen zu tun hat?

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Sie sitzt in einem Straßencafé, vor sich eine Tasse Café au Lait und ein Macaron. Sie trägt nur ein weißes T-Shirt, Jeans und flache Sandalen, Haare und Make up ‚au naturel’. Am Stuhl hängt eine einfache Korbtasche. Das Treiben auf dem Boulevard beobachtet sie genau, sieht dabei aber immer eine Spur gelangweilt aus.

So oder so ähnlich stellt man sich die typische Französin vor. In unseren Augen hat sie immer das gewisse Etwas. Die Franzosen nennen es das ‚je ne sais quoi’, was übersetzt ‚ich weiß nicht was’ heißt. Das trifft es wohl ganz gut. Niemand kommt wirklich hinter das Geheimnis. Was macht die Französin? Oder besser: Was macht sie nicht? Warum ist sie für so viele ein Vorbild? Obwohl sie doch genaugenommen alles falsch macht:
Die Französin isst Weißbrot, und zwar sehr weißes Weißbrot. Vor allem in Form von Baguettes, aber auch Croissants und Brioches aus einem speziellen Auszugsmehl, das es so nur in Frankreich gibt. Ja, sie isst es wirklich, aber nur sehr wenig davon. Außerdem isst sie Butter. In französischen Bäckereien, den ‚Boulangeries Artisans’, wird traditionell nur mit Butter gebacken und sogar französische Backwaren für den Supermarkt werden mit Butter hergestellt (‚pur beurre’).

Die Französin liebt Käse und zwar die gesamte Palette. Wenn man in Frankreich essen geht, hat man nach dem Hauptgang die Wahl zwischen Käse (in diesem Fall kommt der Garçon auch gerne mal mit einem Käse-Servierwagen und lässt es sich nicht nehmen, jede Sorte zu erklären) und süßem Nachtisch, wie z.B. Crème brulée oder Tarte au Citron, was die Französin (hmmm … pourquoi pas?) natürlich auch nicht verschmäht.

Sie isst sogar Fleisch. Nicht oft und nicht viel, aber eben: Fleisch. Gerne auch mal ein fein marmoriertes Entre-côte mit einem Fettauge in der Mitte. Und dazu trinkt sie, exactement: Rotwein. Nicht viel. Na gut, manchmal vielleicht doch ein bisschen mehr, aber normalerweise nur ein Glas. Fini!
Die Französin geht nicht ins Fitness-Studio und nicht aufs Laufband. Sie hat auch keinen Personal Trainer. Und überhaupt, Fitness-Trends lässt sie lieber links liegen. Oder könnt ihr euch vorstellen, dass Juliette Binoche mit Gewichten an den Fußfesseln durch den Bois de Boulogne rennt? Oder Léa Seydoux an einem Seil befestigt von einer Klippe springt? Mon dieu … non!

Die Französin läuft auch keinen Marathon oder Halbmarathon. Sie würde nicht mal einen Viertel- oder Zehntel-Marathon laufen, wenn es ihn gäbe. Genaugenommen macht sie gar keinen Sport. Es kommt schon mal vor, dass sie zur Metro rennt, weil sie oft zu spät ist. Aber eigentlich hasst sie die Metro und geht wenn möglich zu Fuß. Na gut, da kommen dann schon mal ein bis zwei Stunden am Tag zusammen.
Die Französin bekämpft keine Problemzonen, weil sie gar nicht auf die Idee kommt, dass sie welche haben könnte. Ok, meistens hat sie auch wirklich keine (wie macht sie das nur?). Und wenn doch, sagt sie: Pffft….. Sie macht keine Achtsamkeitsübungen und meditiert nicht, sondern sitzt lieber im Bistro. Sie hat nicht mal eine To-do-Liste, geschweige denn einen Fitness-Tracker oder eine Schlaf-App.

Verrückt. Sie macht alles falsch, liegt aber trotzdem richtig. Sie folgt keinem Trend, ist aber selbst Trend. Und das, obwohl sie gar keiner sein will. Wie ist das möglich? Man weiß es nicht. On ne sait pas. Oder vielleicht doch: Die Französin zelebriert. Und zwar alles, was sie liebt. Mode, essen, trinken, feiern, Liebe, Freundschaft, Familie, Kultur. Sogar traurig sein und sich langweilen (‚ennui’). Aber, wie alles andere, übertreibt sie auch das nicht.

Und vor allem zelebriert sie das ‚laissez-faire’ nach dem Motto „Mais oui, jeder kann machen was er will. Aber ich muss ja nicht unbedingt mitmachen.“ Eine Art Verweigerung also, aber keine rebellische. Viiieeel zu anstrengend. Dann ist sie doch lieber tolerant. Und übt sich weiter ganz cool in der Kunst des Weglassens. Vielleicht ist sie ja deshalb so schön entspannt? Und, genau: entspannt schön.
Editing & Design: Katja Wohnrath | Text: Annette Kristin